Die Landwirtschaft in Deutschland befindet sich in einer dramatischen Umbruchssituation: Im Jahr 2017 haben bundesweit über 7.600 landwirtschaftliche Erzeugerbetriebe ihre Hoftore für immer geschlossen, demgegenüber haben weit über 2.000 Landwirtinnen und Landwirte ihren Hof auf ökologische Erzeugung umgestellt. Ein vergleichbarer Umbruch vollzieht sich auch in Baden-Württemberg. Um diesem Umbruch gerecht zu werden, muss die baden-württembergische Landesregierung die Landwirtschaft mutiger als bisher an den gesellschaftlichen Erwartungen ausrichten und den heimischen Öko-Sektor deutlich besser als bislang geschehen fördern. Die derzeitigen hervorragenden Markt- und Absatzchancen und ein fortdauerndes Marktwachstum zeigen das enorme Potenzial für einen konsequenten Umbau der heimischen Landwirtschaft in Richtung Ökologie auf.

Die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft ist angesichts der Preiskrisen im konventionellen Landbau sowie der dramatischen Situation des Naturhaushalts – beispielhaft zu nennen sind hier der Rückgang der Vögel und Insekten und der Zustand unserer Gewässer – eine Schlüsselbranche für die Zukunft unseres Planeten. Aufgrund der neu gefassten Ressortaufteilung durch die Umsiedelung der Abteilung Naturschutz vom Landwirtschafts- ans Umweltministerium besitzt der ökologische Landbau in Baden-Württemberg momentan eine Scharnierfunktion zum Ausgleich teilweise widerstrebender Interessen. Ein ressortübergreifendes Konzept zu seiner Stärkung sollte daher im Interesse der gesamten Landesregierung liegen.

In ihrer Koalitionsvereinbarung hat sich die grün-schwarze Landesregierung im Frühjahr 2016 darauf verständigt, den ökologischen Landbau weiter voranzubringen: In Anerkennung des besonderen Potenzials im Lande bekennen sich die Koalitionäre dazu, das bestehende Marktpotenzial und die aus einer Umstellung auf Öko-Bewirtschaftung resultierenden ökologischen und ökonomischen Vorteile zu nutzen sowie die Umstellungs- und Beibehaltungsförderung weiterzuführen. Mit weiteren konkreten Ansatzpunkten hat sich die Landesregierung zu einer Stärkung der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft bekannt. Die Landesregierung kann mit einer zukunftsweisenden Politik für weitere Investitionen im Bio-Bereich sorgen und damit die Öko-Wirtschaftsmotoren auf dem Land gezielt stärken. Die grün-schwarze Landesregierung wird ihre selbst gesteckten Klima- und Umweltziele nur dann erreichen, wenn alle Ministerien gemeinsam am Umbau der Land- und Lebensmittelwirtschaft mitwirken. Hier sieht die AÖL dringenden Nachbesserungsbedarf.

Viele Zielsetzungen der Koalitionsvereinbarung zur ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft sind noch nicht erreicht und zum Teil nicht einmal angegangen. Aktuell fehlt es an einem finanziellen Bekenntnis zum Sektor und einem inhaltlichen Konzept – der Aktionsplan „Bio aus Baden-Württemberg“ muss couragiert um konkrete Ziele und Maßnahmen erweitert und dringend auch finanziell unterfüttert werden. Um das von der Politik ausgerufene Ziel von 30 Prozent ökologisch bewirtschafteter Fläche bis zum Jahr 2030 zu erreichen, sind seitens der gesamten Landesregierung konkrete Maßnahmen zu treffen und ein klares Finanzierungskonzept zu beschließen. Konkret zu benennen sind hier:

I. Beschluss und Umsetzung eines Finanzierungskonzepts für den Aktionsplan „Bio aus Baden-Württemberg“: Die Landesregierung muss die derzeit laufende Evaluation des Aktionsplans „Bio aus Baden-Württemberg“ zum Anlass nehmen, den Aktionsplan endlich mit einem Finanzierungskonzept zu unterlegen. Ein Aktionsplan ohne Finanzierung kann keine Wirkung erzielen. Bei der Weiterentwicklung des Aktionsplans sind die wertvollen Ergebnisse, die im Zuge des Öko-Kongresses in Weinsberg im Frühjahr 2018 durch relevante Sektorvertreter erarbeitet wurden, zu berücksichtigen. Zugleich gilt es das für den ökologischen Landbau zuständige Referat innerhalb des Landwirtschaftsministeriums personell und finanziell adäquat zu den Herausforderungen der Branche auszustatten.

II. Umsetzung klarer ökologischer Vorgaben bei der Verpachtung landeseigener Flächen: Die Landesregierung muss bei der Verpachtung von Landesflächen eine Bewirtschaftung gemäß der Vorgaben des ökologischen Landbaus verpflichtend vorschreiben und die eigenen Liegenschaften konsequent auf Öko-Bewirtschaftung umstellen. Hier muss die Politik Farbe bekennen und selbst als Vorbild voranschreiten, um den Umbau der Land- und Ernährungswirtschaft tatkräftig mitzugestalten.

III. Anerkennung der Umstellung auf Öko-Bewirtschaftung als Ausgleichsmaßnahme: Wie dies in anderen Bundesländern bereits heute gelebte Praxis ist, um in Zeiten von Flächenfraß die ökologische Landbewirtschaftung von Flächen zu erhalten, muss die Umstellung auf Öko-Bewirtschaftung im Zuge der derzeit stattfindenden Neufassung der Ökokonto-Verordnung als Ausgleichsmaßnahme für Eingriffe in die Natur anerkannt werden.

IV. Reform der beruflichen Ausbildung und zeitgemäße Berücksichtigung der Themen des ökologischen Landbaus in den Lehrplänen: Die Landesregierung muss eine angemessene und ideologiefreie Berücksichtigung der Themen des Ökolandbaus in der beruflichen Ausbildung sicherstellen und in den Lehrplänen der berufsbildenden Schulen verankern.

V. Beschluss und Umsetzung einer modernen Kampagne zur Beförderung des Einsatzes von Bio-Produkten in der Außer-Haus-Verpflegung: Die Landesregierung muss die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung als wirksames Instrument für eine pestizidfreie und damit unbelastete Ernährung nutzen. Dänemark zeigt, wie es geht. So wurde beispielsweise in Kopenhagen ein Bio-Anteil von 90 Prozent in allen öffentlichen Einrichtungen nahezu kostenneutral erreicht und damit eine nachhaltigere, schmackhaftere und gesündere Ernährung realisiert. Die baden-württembergische Landesregierung muss hier dringend nachziehen und die Chancen im Bereich des Außer-Haus-Marktes nutzen.

VI. Umbau der staatseigenen Unternehmen zu „Leuchttürmen“ der ökologischen Ernährungsindustrie: Die in Landesbesitz befindlichen Unternehmen der Ernährungsindustrie sollten zu „Botschaftern“ für den Ökolandbau umgebaut werden. Angesichts der galoppierenden Umstellerzahlen auf Erzeugerebene ist das Thema Rohstoffversorgung für beispielsweise eine staatseigene Brauerei längst kein Hinderungsgrund mehr.

VII. Beschluss und Umsetzung einer Marketingkampagne zur Heraushebung der positiven gesellschaftlichen Leistungen des Sektors gegenüber einer breiten Öffentlichkeit: Um gegenüber einer breiten Öffentlichkeit die Vorteile der heimischen Erzeugung und Verarbeitung ökologischer Produkte herauszustellen und attraktive Einblicke in den Sektor zu ermöglichen, muss die Landesregierung ein festes Budget für die Durchführung eines jährlichen „Tages des Ökologischen Landbaus“ beschließen sowie ein zeitgemäßes Marketingkonzept entwickeln und umsetzen. Ergänzend notwendig ist eine moderne Marketingkampagne, die den Endverbraucher über die Vorzüge von regional und ökologisch erzeugten Nahrungsmitteln informiert und für „heimisches Bio“ wirbt.

VIII. Beschluss und Umsetzung von „Bauer-zu-Bauer-Gesprächen“ zur messbaren Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln: Angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zum dramatischen Artenschwund hat Baden-Württemberg im November 2017 das „Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt“ beschlossen. Insgesamt 30 Millionen Euro sollen in den kommenden Jahren u. a. dazu genutzt werden, innerhalb der Landbewirtschaftung eine für die Umwelt spürbare Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln zu erreichen. In Bayern hat sich die Methode der „Bauer-zu-Bauer-Gespräche“ als hervorragende Methode herauskristallisiert, um Betrieben die Hemmnisse bei einer möglichen Umstellung auf Öko-Bewirtschaftung zu nehmen. Ein vergleichbares Netzwerk in Baden-Württemberg – ausgerichtet auf den reduzierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln – würde wirksam zur Umweltentlastung beitragen. Denn die Weitergabe der Erfahrungen von Praktiker zu Praktiker liefert die besten Argumente für eine Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Die „Bauer-zu-Bauer-Gespräche“ sollten begleitet werden durch eine adäquate Einbindung der Erzeugerberatung in den Themenbereichen Ackerbau und Biodiversität.

IX. Klares Bekenntnis zum Öko-Sektor im Bereich der Agrarforschung: Aktuell werden bundesweit gerechnet lediglich 1,5 Prozent der Agrar-Forschungsmittel für Bio verwendet. Um bis 2030 die angestrebten 30 Prozent Bio im Land zu erreichen, müssen bereits heute konsequent 30 Prozent der Mittel auf Öko-Forschung verwendet werden. Die Landesregierung muss auf nationaler Ebene all ihren Einfluss in die Waagschale werfen, um im Bereich Bildung und Forschung das Innovationspotenzial von Bio zu heben. Hier ist neben dem Landwirtschaftsministerium insbesondere das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in der Pflicht, sich im Bund für eine Neuausrichtung der Agrarforschung einzusetzen.

X. Agrarpolitischen Einfluss auf Bundes- und europäischer Ebene zum Umbau der Agrarförderung hin in Richtung „Öffentliches Geld für Öffentliche Leistungen“ nutzen: Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) muss darauf ausgerichtet werden, dass öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen eingesetzt werden. Steuergeld muss künftig dafür verwendet werden, Wasser, Böden und Klima zu schützen, Tiere artgerecht zu halten und so besonders bäuerlichen Betrieben neue Perspektiven zu geben. Die Öko-Branche zeigt mit ihrem Nachhaltigkeitsmodell zur GAP, wie Steuergeld zielgenau und ohne Strukturbrüche für eine zukunftsfähige Landwirtschaft verwendet werden kann – und damit auch die Erwartungen und Ansprüche der Gesellschaft an Landwirtschaft erfüllt werden (siehe www.boelw.de/gap2020). Hier fordert die AÖL ein klares Bekenntnis und erkennbares Engagement der Landesregierung.