Esslingen / Weinsberg, 18. April 2018. Anlässlich des heute in Weinsberg stattfindenden Öko-Kongresses bezieht die AÖL Stellung zur Situation des ökologischen Landbaus im Lande und bewertet den Aktionsplan „Bio aus Baden-Württemberg“. Als Sektorvertretung fordert sie die Landesregierung dazu auf, zeitnah weitere Schritte zur Konkretisierung des Aktionsplans vorzunehmen, um die Zielsetzungen der Koalitionsvereinbarung mutiger als derzeit anzugehen und das selbst gesteckte Ziel von 30 Prozent ökologisch bewirtschafteter Fläche bis zum Jahr 2030 kraftvoll und mit einem klaren Finanzierungskonzept zu erreichen.

Im zurückliegenden Jahr 2017 haben bundesweit über 7.600 landwirtschaftliche Erzeugerbetriebe ihre Hoftore für immer geschlossen. Demgegenüber haben weit über 2.000 Landwirtinnen und Landwirte ihren Hof auf ökologische Erzeugung umgestellt. Das klassische landwirtschaftliche Mantra „Wachse oder weiche“ wird immer mehr ersetzt durch „Werde Bio oder weiche“. Alleine in Baden-Württemberg stellt derzeit täglich ein Betrieb seine Wirtschaftsweise auf ökologisch um. Der deutsche Ökomarkt wächst seit dem Jahr 2000 jährlich zweistellig und auch in der Fläche ist der Trend zu mehr „Öko“ seit über drei Jahren ungebrochen.

Im Januar dieses Jahres verkündete Landwirtschaftsminister Peter Hauk, dass das Land Baden-Württemberg sich zum Ziel gesetzt hat, 30 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Offen ließ Hauk seinerzeit, welche Maßnahmen die Landesregierung hierzu plant und welche konkreten Förderinstrumente der hiesigen Agrar- und Ernährungswirtschaft auf diesem Weg helfen sollen.

Die AÖL bringt ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass der heutige Öko-Kongress in Weinsberg zu mehr Klarheit führt.
„Wir wünschen uns von der Landesregierung, dass sie das derzeitige hervorragende Marktumfeld für mehr heimische Öko-Produkte entschlossen nutzt. Denn nur wenn die Politik deutlich umsteuert, kann unsere heimische Land- und Ernährungswirtschaft fit für die Zukunft gemacht werden. Die Politik des letzten Jahrhunderts fortzusetzen genügt nicht, damit das Wasser sauber bleibt, die Artenvielfalt gestärkt und das Klima geschützt wird. Anpacken muss die Landesregierung dabei nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Brüssel, wenn es um die Reform der Europäischen Agrarpolitik geht“, so AÖL-Geschäftsführer Dr. Christian Eichert am Rande des Kongresses heute in Weinsberg.

10 Milliarden Euro jährlicher Bio-Umsatz in Deutschland und ein fortdauerndes Wachstum zeigen, welch großes Potenzial der Bio-Sektor für die heimische Wirtschaft birgt. Bio-Erzeugerbetriebe und -Hersteller sind meist kleine und mittelständische Unternehmen, die Menschen in Stadt und Land in Arbeit bringen und Nachhaltigkeits-Pioniere sind. Die Landesregierung kann mit einer zukunftsweisenden Politik für weitere Investitionen im Bio-Bereich sorgen, um die Öko-Wirtschaftsmotoren auf dem Land gezielt zu stärken.

Dabei ist klar: Die grün-schwarze Landesregierung wird ihre selbst gesteckten Klima- und Umweltziele nur dann erreichen, wenn alle Ministerien gemeinsam am Umbau der Land- und Lebensmittelwirtschaft mitwirken. Hier sieht die AÖL noch dringenden Nachbesserungsbedarf.

Aktuell werden lediglich 1,5 Prozent der Agrar-Forschungsmittel für Bio verwendet. Um bis 2030 die angestrebten 30 Prozent Bio zu erreichen, müssen bereits heute 30 Prozent der Mittel auf Öko-Forschung verwendet werden. Die Landesregierung muss auf nationaler Ebene all ihren Einfluss in die Waagschale werfen, um im Bereich Bildung und Forschung das Innovationspotenzial von Bio zu heben. „Nur mit einer klaren Neuausrichtung der derzeit für den Sektor unzulänglichen Forschungsförderung kann es gelingen, das selbst gesteckte 30-Prozent-Ziel zu erreichen. Hier ist neben dem Landwirtschaftsministerium insbesondere das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in der Pflicht, sich im Bund für einen Neuausrichtung der Agrarforschung einzusetzen“, appelliert Dr. Eichert.

Um die heimische Land- und Lebensmittelwirtschaft zukunftsfähig zu machen, sind im Weiteren folgende Themen zu berücksichtigen:

  • Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) muss darauf ausgerichtet werden, dass öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen eingesetzt werden. Steuergeld muss künftig dafür verwendet werden, Wasser, Böden und Klima zu schützen, Tiere artgerecht zu halten und so besonders bäuerlichen Betrieben neue Perspektiven zu geben. Die Öko-Branche zeigt mit ihrem Nachhaltigkeitsmodell zur GAP, wie Steuergeld zielgenau und ohne Strukturbrüche für eine zukunftsfähige Landwirtschaft verwendet werden kann – und damit auch die Erwartung der Gesellschaft erfüllt wird (siehe www.boelw.de/gap2020). Hier erwartet die AÖL ein klares Bekenntnis und erkennbares Engagement der Landesregierung.

 

  • Die Landesregierung muss die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung als wirksames Instrument für eine pestizidfreie und damit unbelastete Ernährung nutzen. Dänemark zeigt, wie es geht. So wurde beispielsweise in Kopenhagen ein Bio-Anteil von 90 Prozent in allen öffentlichen Einrichtungen nahezu kostenneutral erreicht und damit eine nachhaltigere, schmackhaftere und gesündere Ernährung realisiert.

 

  • Die Landesregierung muss sich bei der Verpachtung von Landesflächen für eine konsequente Bio-Bewirtschaftung stark machen und die eigenen Liegenschaften konsequent auf Öko-Bewirtschaftung umstellen. Zudem sollte man die derzeit stattfindende Neufassung der Ökokonto-Verordnung – wie dies in anderen Bundesländern bereits heute gelebte Praxis ist – dafür nutzen, die Umstellung auf Öko-Bewirtschaftung als Ausgleichsmaßnahme für Eingriffe in die Natur anzuerkennen.

 

  • Um gegenüber einer breiten Öffentlichkeit die Vorteile der heimischen Erzeugung und Verarbeitung ökologischer Produkte herauszustellen und attraktive Einblicke in den Sektor zu ermöglichen, muss die Landesregierung ein festes Budget für die Durchführung eines „Öko-Aktionstags“ beschließen sowie ein zeitgemäßes Konzept entwickeln und umsetzen. Ergänzend notwendig ist eine moderne Marketingkampagne, die den Endverbraucher über die Vorzüge von regional und ökologisch erzeugten Nahrungsmitteln informiert und für Bio aus der Region wirbt.

 

  • Die Landesregierung muss eine angemessene und ideologiefreie Berücksichtigung der Themen des Ökolandbaus in der beruflichen Ausbildung sicherstellen und in den Lehrplänen der berufsbildenden Schulen verankern.

 

  • Das vom Landtag Ende 2017 beschlossene „Forschungsprogramm Ökolandbau für Baden-Württemberg“ muss insbesondere genutzt werden, um praxisnahe Lösungsansätze für die aktuel-len Herausforderungen der Branche zu generieren. Beispielhaft genannt seien hier die Themen Biodiversitätsleistungen des Ökolandbaus, Schließen der Phosphorlücke, Minimierung des Kupfereinsatzes im Bereich ökologischer Sonderkulturen, sowie Erfolgsfaktoren des Einsatzes von Bio-Produkten in der Außer-Haus-Verpflegung.

Für das bundesweit einzige grün-geführte Bundesland ist der derzeitige Aktionsplan ohne finanzielles Bekenntnis und Konzept laut AÖL-Geschäftsführer Dr. Eichert „wahrlich kein Aushängeschild“. Um das anvisierte 30-Prozent-Ziel zu erreichen, muss der Aktionsplan „Bio aus Baden-Württemberg“ couragiert um konkrete Ziele und Maßnahmen erweitert und dringend auch finanziell unterfüttert werden. Ein forscheres Engagement der Landespolitik und klares Zeichen der Unterstützung für den Sektor sind vor diesem Hintergrund insbesondere gefordert, wenn es um die Verwendung von Bio-Produkten in den landeseigenen Kantinen und Mensen geht.

„Hier muss Politik Farbe bekennen und selbst als Vorbild voranschreiten, um den Umbau der Land- und Ernährungswirtschaft tatkräftig mitzugestalten. Die Stadtstaaten Bremen und Berlin sind hier glänzende Vorbilder, wohingegen Baden-Württemberg als Stammland des Ökolandbaus bisher nichts als Lippenbekenntnisse vorzubringen hat“, so Dr. Eichert. Weiterhin gelte es, die in Landesbesitz befindlichen Unternehmen der Ernährungsindustrie zu „Botschaftern“ für den Ökolandbau umzubauen. Angesichts der galoppierenden Umstellerzahlen auf Erzeugerebene sei das Thema Rohstoffversorgung für beispielsweise eine staatseigene Brauerei längst kein Hinderungsgrund mehr.

Nach fünf Jahren Aktionsplan „Bio aus Baden-Württemberg“ und knapp zwei Jahre nach Amtsantritt der grün-schwarzen Landesregierung konnten einige erste Schritte erfolgreich gegangen werden, um den Ökolandbau zu fördern. Dennoch fehlen in vielen zentralen Bereichen bis heute wirksame Maßnahmen, die für die Zukunft des Sektors von zentraler Bedeutung sind. „Nur wenn Baden-Württemberg heute das Steuerruder couragiert in die Hand nimmt und ein finanziell unterfüttertes Maßnahmenbündel beschließt, kann das Ziel, „30 Prozent Biolandbau bis 2030“ erreicht werden.

Lassen Sie uns dem heimischen Agrar- und Ernährungssektor gemeinsam eine klar umrissene Zukunftsperspektive aufzeigen. Der Ökolandbau weist dabei den Weg, um neben der Sicherung von Beschäftigung und Wohlstand in ländlichen Räumen und der Erzeugung gesunder Lebensmittel auch die Nachhaltigkeits- und Klimaziele zu erreichen“, so Dr. Eichert abschließend.

Ansprechpartnerin für Presseanfragen:
Imme Schäfer, Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau Baden-Württemberg e.V. (AÖL e.V.), c/o Bioland Landesverband Baden-Württemberg e.V., Schelztorstr. 49, 73728 Esslingen
T. +49 711 550939-19, M. +49 151 17127729, E-Mail: imme.schaefer@bioland.de